Spielzeit:
4945 Minuten
In unzähligen Kriegsspielen hat man als Soldat an der Front gekämpft, Kimme+Korn auf den Feind gerichtet, als General die eigenen Truppen über eine strategische Karte geschoben oder als Führer - nein, nicht DER Führer :-B - eines Kampffliegers, Panzers oder anderen Fahr-/Flugzeugs seine Munition auf alles gerotzt was uns böse erschien. Die eigene Rolle war stets glasklar, das Feindbild auch, die Mission schlicht auf erobern oder vernichten eingegrenzt. Hat man oft genug gesehen und gespielt.
Dabei sollte jedem klar sein dass Krieg immer zwei Seiten hat, nur versteift sich die Spiele-Industrie zu gerne auf jenes Szenario wo der Konflikt im vollen Gange ist und man selbst quasi "mittendrin" steckt. Das kleine Indie-Wunder "This War of Mine" (= TWOM) geht auf einen anderen, jedoch gern verdrängten, aber wichtigen Aspekt des Kriegsgeschehens ein: Auf das Elend das dort vorzufinden ist wo die Kämpfe bereits stattgefunden und nur Spuren der Verwüstung hinterlassen haben. Wo einfache Zivilisten unter widrigsten Umständen Tag um Tag ums nackte Überleben kämpfen und dafür mitunter moralische Opfer bringen müssen. Was TWOM dabei am meisten auszeichnet ist die schonungslos präsentierte Hoffnungs- wie Hilflosigkeit unserer Schützlinge, und die Unberechenbarkeit jedes Folgetages, und obwohl es bereits Ende vergangenen Jahres auf Steam veröffentlicht wurde ist es MEIN persönliches Spiel 2015!
Die Kamera zieht gemächlich über einen Landstrich des fiktiven Staates Porogen. Der Blick schweift über die mit Feuer und Rauch gefüllte Luft einer kleinen Stadt, über von Trümmern und Schutt bedeckte Straßen. Ein Häuser-Skelett reiht sich dem Nächsten. In der Ferne sind Laute des Kampfes, Detonationen, Gewehrfeuer zu vernehmen. Die Aufnahme bleibt bei einer einzelnen Ruine stehen, in welchem ein oder mehrere Zivilist(en) - je nachdem, ob wir ein zufallsgeneriertes oder selbst definiertes Szenario spielen - Schutz sucht/suchen. Dieses Gebäude bleibt an diesem und in den kommenden Tagen, solange bis der Krieg hoffentlich vorbei ist, unser Unterschlupf, unser "Zuhause".
Mit Beginn des Morgens klauben wir alles an Nützlichem/Essbaren zusammen was sich in dieser Bruchbude finden lässt. Aus dem Aufgelesenen bauen wir uns notdürftig Betten für einen "komfortableren" Schlaf, einen primitiven Ofen gegen die bittere Kälte oder eine Werkbank auf welcher Werkzeuge oder waffenartige Gegenstände zusammengefriemelt werden können. Jede Tätigkeit muss durchorganisiert, die verfügbare Zeit genutzt werden, denn irgendwann geht auch mal der hellichte Tag zu Ende. Und wenn die Dunkelheit einbricht, kommt der gefährlichere Teil: Wenn die Nacht nicht zum Schlafen oder Wache-Stehen verbracht wird, dann zum Plündern der umgebenden Stadtteile. Zwangsläufig, denn mit dem was uns das Haus bietet kommen wir langfristig nicht aus. Holz, Kleinteile, Nahrung, Medikamente, Zigaretten, quasi alles was sich für den Eigenbedarf oder zum Handel eignet möchte in die Tasche gesteckt werden. Da man nur begrenzte Mengen mit sich tragen kann fällt jedes Mal die Überlegung was gerade wichtiger ist: Was zum Beissen? Zum Heizen? Zum Bauen? Zur medizinischen Grundversorgung?
In menschenleeren Bezirken nach Verwertbarem zu wühlen stellt das kleinste Problem dar, in bewohnten oder gar besetzten Gebieten, da sieht es wieder anders aus. Neben (wahrscheinlich) harmlosen NPCs ziehen auch feindlich gesinnte Banditenbanden, Soldaten oder Deserteure umher, denen wir während der Entwendung kostbarer Dinge besser nicht unter die Augen treten dürfen. Falls es doch zur ungewollten Begegnung kommt, ist die sofortige Flucht in den meisten Fällen die beste Option, egal wie klein oder groß unsere Beute ausfällt. Sich mit Waffengewalt zu verteidigen geht auch, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit dabei draufzugehen immer gegeben - und nicht selten recht hoch.
Und so wie oben beschrieben sieht der Spielablauf von TWOM letztendlich aus. Eine Survival-Version von "The Sims", so in etwa, und der Vergleich hinkt gar nicht mal so sehr. Wie in einem virtuellen Puppenhaus werden unsere Schützlinge gelenkt, zum Arbeiten und Handeln dirigiert, so dass sich kurz über lang eine gewisse Routine im allgemeinen Tagesablauf einstellt. Klingt langweilig? Iwo!!! Gerade das Verwalten der begrenzten Habseligkeiten und die Überlegung was am neuen Tag dringendst beschafft oder hergestellt werden soll bringt eine unterschwellige Spannung mit sich, denn anders als bei Maxis' brabbelnden, ewig gut gelaunten Sims müssen die Zivilisten in TWOM nicht einfach nur bei guter Laune, sondern in erste Linie am Leben erhalten, für deren physisches wie psychisches Wohlbefinden gesorgt werden, was angesichts des Kriegsalltags keine leichte Aufgabe ist.
Es sind vor allem Maßnahmen purer Verzweiflung die unseren Protagonisten besonders seelisch zusetzen können. Ein altes Ehepaar ausrauben, ein halbwegs funktionierendes Krankenhaus um lebenswichtige Medikamente bringen, die sorgenerfüllten Bewohner eines Hauses heimlich bestehlen... Wie weit geht man wenn die Not am größten ist? Wann kommt der Punkt an dem man an seinem eigenen Handeln zerbricht?
Regelmäßig versetzt TWOM einem schmerzvolle Stöße, zwingt zu Taten oder Entscheidungen die man nicht wirklich will, aufgrund der prekären Situation aber selten eine andere Wahl hat. Wir können nicht jeden Fremden, der bei uns anklopft und um Unterkunft bittet, bei uns aufnehmen, wo die kläglichen Vorräte gerade so eben für die Paar Leute reichen. Oder unsere letzten Medikamente an kleine Kinder abgeben wenn wir diese selbst am meisten benötigen. Oder als Zeuge einer Vergewaltigung eingreifen, weil dieses Schwein von Soldat uns garantiert abknallt wenn wir aus unserem Versteck hervorkriechen. Hin und wieder müssen wir egoistisch sein um zu überleben, auch wenn es am Gewissen nagt, und hoffen unsere unterlassene Hilfeleistung durch eine andere gute Tat wieder auszugleichen. Tun wir es nicht, verlieren sich unsere Schützlinge in der Depression aus der sie nur schwer wieder herauskommen.
TWOM will uns ständig testen. Wissen wie wir allgemein agieren, auf bestimmte Situationen reagieren. Im Wesentlichen aber möchte es das Leid, die Unsicherheit und den Verlust menschlicher Werte in Zeiten des Krieges auf ungeschönte Art und Weise näherbringen. Diese Intention ist den Entwicklern in vollem Maße gelungen.
So düster und deprimierend sich TWOM anfühlt und spielt, so sieht es gleichermaßen aus bzw. hört es sich an. Bis auf ganz wenige Farbtupfer ist die Grafik überwiegend in kalten Schwarz-, Weiss- und Grautönen gehüllt. Die Hintergründe pulsieren durch "Bleistiftstrich"-Effekte, was dem Ganzen einen besonderen Graphic-Novel-Look verleiht. Die Charaktere sind sehr realistisch gestaltet und proportioniert, man könnte denken man steuere gefilmte und hineinkopierte Real-Darsteller. Alle Locations einschließlich der "heimischen Ruine" wirken durch ihren dreidimensionalen Aufbau sehr räumlich, so dass durch die Sidescroll-Perspektive und der Bewegung des Maus-Zeigers ein sehr detailreiches 2.5D-Bild entsteht. Selten sah ein Kriegsschauplatz so eindrucksvoll "schön" aus.
Die durchweg traurige wie beklemmende Musikuntermalung tilgt nochmals den allerletzten Rest positiver Stimmung. Die restliche Tonkulisse klingt authentisch, Sprachausgabe gibt es keine. Stattdessen kommunizieren die Zivilisten ausschließlich über Sprechblasen, doch das plus ihre Gestik und Körperhaltung reichen vollkommen aus um ihren Gemütszustand, ihre allgemeine Verfassung augenblicklich abzulesen.
Fazit:
TWOM soll keinen "Spaß" machen, sondern inhaltlich, optisch sowie akustisch aufrütteln. Ein ungemein wichtiges Spiel, das nüchtern und realitätsnah den Schrecken eines jeden Krieges veranschaulicht. Ein Spiel, das aufgrund vergangener, bestehender und ebenso zukünftiger Krisengebiete nie an Aktualität einbüßt.
👍 : 30 |
😃 : 1