Spielzeit:
377 Minuten
[b][Schwache Empfehlung auf Basis der visuellen Qualitäten mit starken Vorbehalten][/b]
[u]Wunderschöne Weiten aber wenig Raum für Gedanken[/u]
Es fällt mir etwas schwer, hier den Anfang zu finden, aber vielleicht macht es ja tatsächlich Sinn, zum Einstieg den Blick auf den Titel des Spiels zu richten: "Mind - Path To Thalamus". Der Titel scheint ein klein wenig kryptisch sein zu wollen. Denn Ein Pfad zum Thalamus, zu einer zentralen Hirnregion? Wie soll das wohl aussehen? Doch praktisch gleichzeitig offenbart uns dieser Titel bereits das gesamte Szenario des Werkes und seine wesentlichen Rahmenbedingungen. Der "Pfad zum Thalamus", dabei handelt es sich entweder um einen Euphemismus für eine ziemlich riskante Art von Hirnoperation oder aber der genannte PFad muss im Geiste beschritten werden, dessen Sitz breiter Meinung nach schließlich das Hirn ist. Das erste Wort des Titels bestätigt dies ohnehin sofort.
Obschon der Titel ziemlich klar versucht, ein wenig Mystik, vielleicht sogar ein wenig Surrealität, zu verströmen, ist er unglaublich explizit. Und verrät damit im Übrigen auch gleich ein Detail, dass das Spiel zeitweise gar als Twist aufzubauen versucht, nämlich, dass die im Titel angedeutete Wanderung im Geist des Protagonisten stattfindet.
Und, wenn man sich nun ein wenig streckt, dann könnte man durchaus behaupten, dass diese Seltsamkeit, vielleicht sogar dieses Problem, des Titels dieses Spiels, beinahe sinnbildlich für das Hauptproblem des gesamten Spiels steht.
Es versucht mit aller Macht bedeutungsschwanger und surreal zu sein, aber es stellt sich selbst ein Bein durch eine teilweise atmosphärebrechende Explizitheit, Ausgesprochenheit, Transparenz.
Wenn man sich anschaut, wie Spiele wie Kairo damit durchkommen, Raum für Raum völlig abstrakter Rätsel zu präsentieren, ohne ermüdend zu werden oder aus der Fiktion zu reißen; wie Spiele wie Naissancee damit durchkommen, einen stundenlang durch schräg-monumentale Architektur wandern und hetzen zu lassen, ohne dass es wirklich nervig wird oder absurd erscheint; wie ein Spiel wie Dear Esther damit durchkommen kann, einen nahezu nur wandern und zuhören und ansonsten nichts tun zu lassen, ohne dass es wie verschwendete Zeit erscheint; dann gibt es, denke ich, einen Begriff unter den man ihre verschiedenen Methoden bündeln kann: Obskurität.
Alle diese Spiele setzen ein gesundes Maß an Unklarheit ein. Um die Umgebung genau so abstrakt und undeutlich zu halten, wie die Rätsel, so dass diese einen vagen Hauch von Bedeutsamkeit und Verbundenheit mit der Welt erhalten; um die Geschichte so vage und abstrakt zu halten, dass eine Balance entsteht zwischen dem Gefühl, dass hinter allem eine umfassende Bedeutung steckt und der gleichzeitig immer mitgeführten Frage, was diese Bedeutung genau sein mag.
Diese 'elaborierten Vagheiten' haben zwei Effekte: Die verschiedenen Elemente des Spiels erzeugen zum einen keine Brüche ineinander, da sich vage Aussagen nur schwer widersprechen können, so zu sagen. Der Spieler wird zum anderen gefordert, während des Spiels über die Bedeutung des Betrachteten nachzudenken, so dass er trotz teils repetitiver und vielleicht eigentlich wenig immersiver spielerischer Tätigkeit immer involviert und investiert bleibt.
MIND nimmt Elemente aller der genannten Spiele auf, vergisst die Obskurität dabei aber beinahe gänzlich. Es ist eine lineare Folge von Rätselarealen, die gelöst werden müssen, um fortzuschreiten, wie Kairo, es ist ein showcase surrealer abstrakter Architektur und Landschaften bei omnipräsenter Einsamkeit, wie Kairo und Naissancee, es erzählt seine Geschichte wie Dear Esther durch Erzählung aus dem Off, während des Fortschreitens.
Aber alles, was es tut, tut es unglaublich explizit und transparent. Die Rätselobjekte, wie Schalter und Kugeln, sind visuell dem Thema entsprechend gestaltet. Aber die Schalter- und Portalrätsel, die aus diesen Objekten bestehen, verbleiben gänzlich abstrakt und sind in keinster Weise mit der Handlung verbunden, die aus dem Off tönt. Und da diese Handlung unglaublich transparent und klar ist und so gar nicht abstrakt, wird überhaupt erst deutlich, wie unglaublich wenig das Spielgeschehen mit den meandernden Erörterungen im Hintergrund zu tun hat. Die thematischen Designs der Objekte lassen das nur noch deutlicher hervorstehen.
Zugleich wird der Spieler kaum gebunden. Man ist seltenst gezwungen, über die Bedeutung von irgendetwas im Spiel nachzudenken, da es einem schlichtweg entweder explizit erzählt wird oder aber einfach offensichtlich ist. Nur selten lässt die Erzählung der visuellen Symbolik Raum zum Atmen.
Selbst die allgegenwärtige Schönheit des Spiels leidet unter diesem Problem, denn die Schönheit liegt beinahe immer in so offener, sich bis zum Horizont streckender Klarheit vor einem, dass sie nach einiger Zeit fast eintönig wird. Der überwältigende Effekt vom Anfang des Spiels, der den Spieler aus verschwommennen engen Gängen in die weite lichtdurchflutete Einsamkeit treten lässt, wiederholt sich nur noch spärlich, denn selten spielt das Spiel ab diesem Punkt noch mit Verdeckung, Undeutlichkeit oder dramatischen Kontrasten.
Freilich ist dies dem allgemeinen Gefühl von Ruhe zuträglich, das die sanften Kulissen verströmen aber es ist eine Ruhe, die mit nichts gefüllt wird. Es gibt keine Aktivität, die in ihr aufgeht oder von ihr gefordert wird, wie Reflexion, Meditation oder das Grübeln über den Sinn des Betrachteten.
Und was erweckt Ruhe, in der nichts aufgeht und die zu nichts anregt? Langeweile.
Und der Mangel an gesunder Obskurität führt, in meinen Augen freilich, schlicht und einfach genau dazu, dass all die Abstraktheit, Einsamkeit und Ruhe von MIND letztlich zu nichts anderem führt als Langeweile. Wunderschöne Langeweile. Aber eben Langeweile. Und der Erkenntnis, dass kontrolliert eingesetzte Undeutlichkeit ein kostbares Stilmittel sein kann.
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😃 : 2