Spielzeit:
6678 Minuten
Eines der storytechnisch überzeugendsten Spiele, die ich je gespielt habe - quasi eine Erwachsenen-Version der auch bei uns bekannten "Choose your own adventure"-Bücher, die ich in meiner Jugend geliebt habe:
Durch die Entscheidungen, die der Spieler als Sir Brante, der Protagonist des Spiels, trifft, verändert sich das Schicksal Brantes, seiner Familie, Freunde, ja des gesamten Arknianischen Reiches, das auf dem Höhepunkt seiner Macht am Abgrund steht und in Revolution und Anarchie abzustürzen droht.
Angefangen von der Geburt Brantes wird der Leser (!) des Spiels (ja, es ist abartig leseintensiv - gerade das macht es ja so gut!) mit der überaus dicht geschilderten Welt des Spiels konfrontiert: von zwei Göttern erschaffen, die das Gesetz und die Liebe verkörpern, wird das Arknianische Kaiserreich von einer Gesellschaft geprägt, in der die Zugehörigkeit zu Ständen den Alltag bestimmt. Wesentlich für das Funktionieren dieser Gesellschaft ist darüber hinaus das individuelle Schicksal oder Los (im Original "lot"), das jedem Menschen primär durch Geburt zugeteilt wird: entweder man kommt als Adliger zur Welt oder als Gemeiner. Der Klerus, der die Religion der Zwillingsgötter verkündet, setzt sich als einziger Stand aus Adligen und Gemeinen zusammen. Wer seinen Stand anerkennt, wird nach dem Wahren Tod (dem endgültigen Verlassen der Welt) von den Zwillingen an die Spitze der Leuchtenden Säule (einer Art zweiten Sonne, die allerdings ständig strahlend am Himmel steht) versetzt - wer dagegen aufbegehrt, landet am Fuß der Säule. Himmel und Hölle mal anders.
Dem Leser stehen im Verlauf des Spiels mehr als 170 verschiedene Events mit mehreren Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung, die der Handlung zum Teil drastische Wendungen verpassen. Mit das interessanteste Konzept des Spiels sind die Geringeren Tode: in besonders schicksalsschweren Momenten besteht die Möglichkeit (manchmal auch die nahezu unausweichliche Notwendigkeit), sein Leben für die Sache zu opfern und einen Geringeren Tod zu sterben. Der Spielercharakter erwacht nach einer mystischen Vision in der Familiengruft und führt sein Leben weiter fort, zum Teil mit ordentliche Zugewinnen bei Attributen - insgesamt kann der Leser allerdings nur drei Geringere Tode sterben; der vierte Tod ist zwingend der Wahre Tod, von dem aus das Spiel beendet ist und die abschließende Beurteilung durch die Zwillinge ansteht.
Wie gesagt besticht das Spiel durch seine extrem tiefgründige Erzählweise, die mal hochspannend, mal herrlich komisch, mal hochemotional daherkommt und keine Wünsche anspruchsvoller Spieler unerfüllt lässt. Graphic Art Design und Musik tragen das Ihre zu einem Hammerspiel bei, das bei allem einen winzigkleinen Wermutstropfen in sich führt: das Englisch der Texte ist brillant, aber recht anspruchsvoll. Wer in Englisch nicht wirklich sicher in Wort und Schrift ist und darüber hinaus wenig Bereitschaft mitbringt, etwas angestaubte Begriffe ab und an zu googlen, wird seine liebe Not mit diesem epischen Stück Erzähltheater haben und ordentlich leiden. Für alle anderen kann "The Life and Suffering of Sir Brante" aber eine Erfahrung sein, die einen auch das eigene Leben mit völlig neuen Augen sehen lässt. Also: Let's play!
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