Spielzeit:
931 Minuten
Im November 1918 endete der 1. Weltkrieg – und dieses schöne Spiel setzt dem Frieden ein emotionales Denkmal.
Story:
Meine Spielfiguren sind mittendrin: Harry ist ein junger Fotograf, der nur Soldat wird, um seine Flamme Julia zu beeindrucken. Kurt wiederum erfährt, dass die Einheit seines Sohnes verschwunden ist und macht sich auf die Suche nach ihm. Es geht um persönliche Geschichten, statt um das große Ganze. Man steuert sie abwechselnd, während ihre Geschichten sich immer wieder beeinflussen. Das sorgt für eine besonders intensive Erfahrung, weil man immer zwei Blickwinkel auf ein Ereignis mitbekommt. Zusätzlich erfährt man über in der Welt verstreute Sammelobjekte viel über die Hintergründe und realen Umstände des Ersten Weltkriegs, was das Erlebte glaubhafter wirken lässt. Memories Retold bemüht sich sichtlich, den Konflikt authentisch darzustellen und Wissen zu vermitteln und eines wird dabei schnell klar: So etwas wie Gut gegen Böse gibt es hier nicht.
Der 1.Weltkrieg als Gemälde:
Trotzdem empfinde ich das ästhetisch gelungene Artdesign mit seinem Impressionismus inhaltlich kontraproduktiv. Ich fühle mich fast wie in einem Gemälde von Claude Monet, das soll auch so sein, aber aber die Kulisse trägt mit ihrem freundlichen Stil, der harte Konturen verwischt, nicht gerade dazu bei, die Schrecken dieses Krieges aufzuzeigen - das Idyllische und Malerische überwiegt. Obwohl es auch sehr ernste Szenen wie die Erschießung eines gefangenen Soldaten oder das Stürmen durch Schützengräben bei Opfern links und rechts gibt, wirken diese emotional nicht stark genug, weil z.B. Trümmer, Blut & Co wie Konfetti aussehen. Und damit scheitert man an einem wesentlichen Aspekt dieses Ansatzes, weil man auf diese Art eher pädagogisch wertvoll als dramaturgisch schonungslos inszeniert.
Manchmal fühlte ich mich fast wie in einem interaktiven Kinder- oder Jugendbuch. Dabei müsste eine gute Regie den Finger viel stärker in die Wunde legen, denn hier wird immerhin die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" thematisiert, die mit ihren Verstümmelten, Verstörten und hundertausenden Toten in Schützengräben für kaltes Grausen sorgte. Und selbst wenn man nicht so explizit draufhalten will, hätte man die Story wesentlich bedrückender inszenieren können: Man denke an das gelungene Anti-Kriegsspiel This War Of Mine. Hier fühle ich mich eher an den halbgaren Ansatz des gut gemeinten, aber ebenfalls zahnlosen Comic-Adventures Valiant Hearts: The Great War von Ubisoft erinnert.
Steuerung:
Die Spielsteuerung ist teilweise zu seicht und manchmal nervig, weil sie wild zwischen normaler Tastensteuerung, Point&Click, Quick-Time Event und Action light wechselt. Man kann auch mit Gamepad spielen, dass empfand ich aber als teilweise noch schwammiger und komplizierter.
Kamera:
Um die Sache noch unübersichtlich zu machen, wechselt die Kamera auch immer wenn die Spielsteuerung wechselt und in einigen Passagen ist die Kameraperspektive fest vorgegeben. So das wir ohne Vorwarnung in eine völlig andere Richtung laufen, manchmal stehen auch nur nervige Hindernisse im Weg, in die wir durch die vorgegebene Kameraperspektive reinlatschen.
Grafik:
Bei 11-11: Memories Retold springt zunächst die ungewöhnliche Aquarell-Optik ins Auge. Durch intensive Beleuchtung und bunte Farben habe ich das Gefühl, ein spielbares Gemälde vor mir zu haben. So verstecken die Entwickler gleichzeitig, dass der Titel technisch eher simpel gestrickt ist. Das merkt man auch beim stellenweisen Flimmern von Objekten und der Detailarmut.
Die fällt gerade bei den Gesichtern auf, die mangels erkennbarer Mimik selten die nötige Emotion vermitteln können. So interessant die Aquarell Optik auch sein mag, empfand ich sie nach einiger Zeit als anstregend für die Augen, da alles immer verschwommen dargestellt wird.
Synchronisierung/Sound:
Die Synchronisation der Charaktere ist erstklassig und glänzt mit prominenter Besetzung. Auch die übrigen Figuren, vom wichtigen Familienmitglied bis hin zum namenlosen Soldaten, sind vertont. Die Charaktere sprechen sogar in ihrer jeweiligen Muttersprache, was dem Titel einen authentischen Anstrich verleiht. Es ist jedoch eine merkwürdige Entscheidung, Kurt und seine Frau Englisch sprechen zu lassen, wenn sie die Handlung anhand von Briefen an den jeweils anderen schilderten. Im normalen Spielverlauf sprachen sie schließlich auch Deutsch bzw. wechseln teilweise ins englische und wurden untertitelt. Es wäre konsequenter gewesen, besonders im Hinblick darauf, dass das Spiel etabliert hat, dass sie nicht Englisch sprechen können. Der Titel wird von wunderschönen orchestralen Arrangements begleitet, die zugleich wunderbar zum zarten grafischen Stil des Spiels passen. Aber für ein Anti-Kriegsspiel ist mir die akustische Begleitung manchmal nicht prägnant genug, fast schon zu gemütlich.
Fazit:
11-11: Memories Retold ist ein gut gemeintes Erinnerungsgemälde, aber über weite Strecken kein packendes Anti-Kriegsspiel. Obwohl Sprecher überzeugen und die Regie einige elegante Überleitungen in petto hat, die die Nähe der Feinde wunderbar aufzeigen, will der emotionale Funke nicht überspringen. Der erzählerische Ansatz ist interessant, denn zwei ganz unterschiedliche Charaktere werden spielbar gemacht, man wechselt quasi zwischen Feinden - und beide werden immer tiefer in diesen Krieg verwickelt.Auf dem Weg dorthin hört man, was einfache Soldaten davon halten und beginnt zwischen Schützengräben und Familientrauer das tragische Ausmaß dieser "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" zu erahnen - hier wird nicht das Soldatische heroisiert, sondern das Menschliche thematisiert. Aber ich hätte das Grauen dieses Krieges noch deutlicher spüren müssen! Zu zaghaft ist die Inszenierung, zu idyllisch das impressionistische Design mit seinen Farbtupfern, als dass ich emotional so ergriffen werden würde. Über allem weht ähnlich wie bei Valiant Hearts ein Hauch von pädagogisch wertvoll. Aber auch diese Geschichte hat starke Momente, die einen nachdenklich stimmen. Leider gibt es einige Inkonsequenzen im statischen Design und die meisten interaktiven Anforderungen befinden sich auf Minispielniveau. Unterm Strich sorgt weniger die Spielmechanik, sondern vor allem die Thematik dafür, dass man ein angenehm ungewöhnliches historisches Adventure erlebt.
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